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Zum Begriff des Traumas, Traumafolgestörungen und Trauma-Therapie


Triggerwarnung. Dieser Text beschäftigt sich mit einem schweren Thema. Prüfe vor dem Lesen für dich, ob du gerade die innere psychische Stabilität hast, dich dem Thema zu widmen. 

Ich möchte mir an dieser Stelle die Zeit nehmen, mich etwas näher mit dem Begriff des Traumas zu beschäftigen, und versuchen darzustellen, was es mit dem Selbst des Menschen machen kann, denen ein solches Ereignis widerfahren ist. Zunächst zur Begriffsbestimmung: Laut Definiton der WHO handelt es sich bei einem Trauma um ein Ereignis, was bei fast jedem Menschen eine tiefe Verzweiflung hervorruft. Gemeint ist damit also ein Ereignis, dass die Bewältigungsmöglichkeiten, mit denen ein Individuum bisher auf belastende Situationen reagiert hat, übersteigt. Ein Trauma ist somit eine überwältigende Erfahrung (im negativen Sinne) für Körper, Geist & Seele. Solche traumatischen Ereignisse können unterteilt werden in von Menschen verursachte Traumata versus schicksalhafte Traumata wie Naturkatastrophen. In der klinischen Psychologe wir zudem zwischen Typ I-Trauma (einmalig, kurz) und Typ-II-Trauma (wiederholt, lang andauernd) unterschieden. Ein Typ I-Trauma kann so zum Beispiel ein Banküberfall sein, bei dem man als Opfer beteiligt ist, ein einmaliger sexueller Missbrauch, eine einmalige körperliche/seelische Gewalterfahrung, oder auch Naturereignisse wie ein Erdbeben, eine Flutkatastrophe oder eine Lawine. Verkehrsunfälle, Todesfälle oder Suizide Angehöriger fallen auch in diese Kategorie. Typ I-Trauma sind schlimm, keine Frage, sie erzeugen aber im Vergleich mit Typ-II-Trauma in der Regel weniger starke Symptome und damit einhergehendes Leid. Ein Typ II-Trauma ist häufig ein lang anhaltender, zwischenmenschlicher Missbrauch, zum Beispiel eine Geiselhaft, wie es gerade in Israel den überlebenden Opfern der Hamas-Terrorattentate widerfahren ist. Auch ritueller, organisierter sexueller Missbrauch, wie er über Jahrzehnte in der katholischen Kirche stattgefunden hat (und wahrscheinlich an einigen Orten auf der Welt immer noch stattfindet), fällt darunter. Am häufigsten fallen in diese Kategorie jedoch in der Familie entstandene multiple traumatische Erfahrungen. Körperliche und sexuelle Gewalt durch enge Verwandte, die meist über Jahre im Schattendasein stattfindet, oft zudem durch informierte Angehörige verschwiegen und verleugnet wird. Zudem verbale Erniedrigungen, Androhungen und Bestechungen, damit die Kinder und Jugendlichen schweigen. Als Faustregel gilt: Multiple, intrafamiliäre traumatische Erfahrungen erzeugen die stärksten Verwundungen und psychischen sowie körperlichen Erkrankungen. Viele Menschen, die im Verlauf ihres Lebens an einer Schizophrenie erkranken, haben starke traumatische Erfahrungen in ihren frühen Kindheitsphasen erfahren. Auch Suchterkrankungen sowie Persönlichkeitsstörungen korrelieren stark mit mulitplen traumatischen Erfahrungen in Kindheit und Jugend. Kurz zur Häufigkeit von traumatischen Erfahrungen. Schätzungen aus Studien legen nahe, dass zwischen 15 und 25 % der Jugendlichen im Alter von 14-24 bereits mindestens ein traumatisches Ereignis in ihrem Leben erfahren haben. Viele Menschen zeigen nach einem Trauma eine akute Belastungsreaktion, die sich in Form von starken Ängsten und wiederkehrenden, quälenden Gedanken, Intrusionen und Flashbacks (auch in Alpträumen) an das belastende Ereignis zeigt. Bei ca 75 % der Betroffenen klingen diese Symptome von selbst wieder ab, ca 25 % entwickeln eine Traumafolgestörung, die nicht von selbst abklingt und, falls diese nicht adäquat behandelt wird, fortan das Leben und die Realitätskonstuktion der Betroffenen stark beeinflusst. Aber was macht ein Trauma nun mit der Psyche, wie verändert eine Traumafolgestörung die Struktur des Selbst? Zunächst einmal ist es interessant zu beobachten, wie sich das eigene Selbst über die Lebensspanne formt. Unser Selbst umfasst alle bewussten und unbewussten Prozesse, mit denen wir mit der Umwelt in Kontakt treten, Realität konstruieren & Handlungen planen sowie initiieren. Es umfasst Emotionen, Gefühle, Gedanken, Werte, Einstellungen, Ziele, Fantasien, Erinnerungen. Es prägt, wie wir auf alle Reize und Situationen reagieren, mit denen wir tagtäglich konfrontiert werden. Das Selbst ist das Subjekt, und es formt sich im Austausch mit der Welt, durch Objektbeziehungen, die internalisiert werden und dann zu inneren Subjekten werden. Die zentralen Beziehungsobjekte sind Menschen, aber auch Tiere, die Natur können zentrale Beziehungsobjekte sein, auch Fantasieobjekte, etwa spirituelle oder religiöse Bilder. Ein Kind, das in dieser Welt aufwächst, entwickelt so im engen Austausch mit seinen primären Bindungspersonen sein Selbst. Du siehst, weshalb gerade frühkindliche, traumatische Erfahrungen am schwerwiegendsten sind. Das Trauma wird zum zentralen Teil der Persönlichkeit, es formt sich kein stabiles Selbst mit einer festen, spürbaren Außengrenze. Es entsteht ein Nicht-Selbst, die Entwicklung eines authentischen Selbst mit einem gesunden Selbstwert wird von Beginn an unterdrückt. Es bildet sich anstelle dessen eine innere Opfer-Persönlichkeit und zugleich ein Täter-nicht-Selbst, welches permanent von innen die Entwicklung einer gesunden und autonomen Person verhindert. Wenn ständig innere und äußere Grenzen verschwimmen, können keine gesunden Beziehungen mit der äußeren Welt eingegangen oder gar aufrechterhalten werden. Nehmen wir aber mal den Fall an, dass einer Person, die zunächst ein gesundes und stabiles Selbst entwickeln konnte, erst später in der Biographie ein traumatisches Ereignis wiederfährt, etwa Opfer eines bewaffneten Überfalls zu werden. Was geschieht nun? Vor dem Trauma hat die Person und ihr Selbst die Welt als relativ sicher, stabil und vorhersagbar erlebt. Vielmehr ging sie auch davon aus, dass sie wichtig ist, dass sie einen unantastbaren menschlichen Wert hat, als würdevolles Wesen wahrgenommen wird. Soweit zum prätraumatischen Selbst.

Nun geschieht während des Traumas folgendes: Alles, was das prätraumatische Selbst über sich und die Welt angenommen hat, wird torpediert und das Selbst kollabiert in der Folge. Die zentrale Botschaft eines Traumas ist: Du bist nichts wert, dein Leben zählt nicht, die Welt ist grausam und erbarmungslos. Diese implizite Botschaft steckt im Grunde in jedem Trauma, egal welcher Natur es ist. Je nach Schwere der traumatischen Erfahrung und der Art der Verarbeitung des Opfers während des Traumas (ob zum Beispiel dissoziative Prozesse stattfinden) bildet sich nun ein posttraumatisches, neues Selbst. Für dieses traumatische Selbst, was wie gesagt nur bei ca 25 % der Betroffenen voll ausgebildet wird, ist die Welt nun nicht mehr sicher. Sie lebt in einer ständig bedrohlichen Realität, der eigene Selbstwert liegt am Boden, der Zugriff auf eigene Ressourcen und Kompetenzen findet kaum noch statt. Beziehungen können nicht mehr richtig geführt werden, es herrscht dauerhafte Wachsamkeit und Alarmbereitschaft, ein inneres „Leben“ im Überlebensmodus beginnt. Das traumatische Selbst ist fragmentiert, ohne klare Innengrenze mit einem zudem verinnerlichten Täter-Introjekt, der nun als innere Bedrohung ständig Druck auf die Psyche ausübt. Viele Situationen des Alltages werden fortan vermieden, nur noch unter großer Anspannung oder mit Substanzkonsum ausgehalten. Neue und unbekannte Situationen werden nicht mehr aufgesucht. Unbehandelt verschlimmert sich die Symptomatik oft, immer mehr Bereiche des Alltages sind betroffen. Scham und Schuldgefühle verhindern oft, das Betroffenene sich Unterstützung suchen, auch Angehörige fühlen sich mitunter ohnmächtig. Was kann getan werden? Wenn du jemanden kennst, dem ein Trauma widerfahren ist oder du selbst darunter leidest, sollte spätestens nach einigen Monaten Hilfe aufgesucht werden, falls die Symptomatik nicht von alleine wieder abklingt. Eine sogenannte posttraumatische Belastungsstörung lässt sich nach einigen Monaten klar diagnostizieren. Unterstütze deine Angehörigen gerne bei Anrufen, Behördengängen und bei allem, was beim Wideraufbau oder der Aufrechterhaltung der Tagesstruktur nützlich sein kann. Rechne damit, dass Menschen nach traumatischen Erfahrungen oft eine neue Persönlichkeit entwickeln und es schwierig wird, „normal“ zu kommunizieren. Oft wird es auch nicht mehr wie davor, ein Trauma lässt sich nicht löschen, aber ein neue Umgang mit dem schrecklichen Ereignis (den Ereignissen finden). Es gibt hierfür einen wichtigen Begriff, er heißt posttraumatisches Wachstum. Du kennst das von Holocaust-Überlebenden. Manche von Ihnen haben auf Basis dieses unfassbaren Grauens einen unbändigen Lebenswillen entwickelt, viele sind aber auch an dem Schrecken zugrunde gegangen, haben sich nie erholt. Wie arbeite nun ich in meiner Rolle als Trauma-Psychotherapeut mit Menschen, die an einer Traumafolgestörung erkrankt sind? Psychotherapie ist letztlich immer ein individueller Prozess, ich möchte hier aber kurz ein System zur Traumaarbeit skizzieren, dass sich aus meiner Erfahrung gut bewährt hat. Die Traumatherapie setzt sich aus 3 Phasen zusammen: 1. Sicherheit wiederherstellen 2. Innere Stabilität 3. Traumakonfrontation In der ersten Phase geht es darum, Menschen dabei zu unterstützen, sich wieder sicherer in der Welt zu fühlen. Dies funktioniert über verschiedene Strategien, unter anderm wird gelernt, den Unterschied zwischen Fantasie und Realität zu erkennen, sich von belastenden Erinnerungen zu distanzieren und den Zugriff zu eigenen Ressourcen und Kompetenzen (also Teilen des prätraumatischen Selbst) wieder zu finden. In der zweiten Phase unterstütze ich Menschen dabei, mit schwierigen und unangenehmen Emotionen in Kontakt zu treten, ihr Vermeidungsverhalten zu reduzieren und wieder mehr am Alltagsgeschehen teilzunehmen. Der (Wieder-)Aufbau eines stützenden sozialen Umfelds ist zentral. Erst in der dritten Phase, wenn aussreichend innere und äußere Stabilität/Sicherheit gewährleistet ist, wird am Trauma gearbeitet. Der verinnerlichte Täter wird konfrontiert, das Opfer-Selbst lernt, sich in der Imagination im Kontakt mit dem Täter-Introjekt (also nicht dem realen Täter) zur Wehr zu setzen. Ziel ist es, aus der inneren Opferrrolle zu kommen, das unauthentische Täter-nicht-Selbst zurückzudrängen und das traumatische Ereignis neu wiederzuverarbeiten, sodass das Trauma mehr im normalen autobiographischen Gedächtnis abgespeichert werden kann. Dadurch kann ein Bezug zum prätraumatischen Selbst zurückgewonnen werden. Ein zentrales Ziel ist es, die innere und äußere Diaologfähigkeit wieder herzustellen. Der Schrecken wird so greifbar und verstehbar. Das Ereignis wird dadurch nicht ungeschehen, es kann aber wieder am Fluss des Lebens teilgenommen werden. Jene inneren Teile, für die die Zeit stehen geblieben ist (und ein Trauma ist in einem gewissen Sinne ein zeitloses Ereignis, es kann unendlich lange fortbestehen und sich über Generationen fortpflanzen), finden neuen Halt. Die Traumafolgestörung endet, wo wieder Worte gefunden werden, wo ein Kontakt stattfindet, wo das Selbst sich neu konfiguriert und wieder lernt, gesunde innere und äußere Grenzen zu spüren und zu halten, ohne dabei zu kollabieren. Das ist für Betroffenen mitunter ein sehr anstrengender, jahrelanger Prozess. Aus meiner Sicht lohnt es sich sehr. „Trotzdem ja zum Leben sagen“ heißt das zentrale Werk des wohl bekanntesten Holcocaust-Überlebenden und Psychotherapeuten Viktor Frankl. Ein sehr lesenswertes Buch, aber defintiv keine leichte Kost. Doch das leichte und das schwere im Leben gehen oft Hand in Hand. Ich danke dir, dass du dir die Zeit genommen hast, diesen Artikel zu lesen. Ich hoffe, es war hilfreich. In diesem Sinne herzliche Grüße Simón

 
 
 

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