Bindung ist Liebe, Liebe ist Bindung
- Simon Reuter
- 8. Juni 2024
- 3 Min. Lesezeit

"Ich fühle mich zerbrochen", "Ich fühle mich ganz", "Ich fühle mich unvollständig", "Ich fühle mich heil", "Ich fühle mich leer", "Ich fühle mich verbunden". Lass diese Sätze gerne einmal auf dich wirken. Kennst du sie aus deinem Leben, was lösen sie in dir aus? Und woran liegt es, dass wir uns manchmal leer, einsam, unvollständig, zerbrochen fühlen und manchmal verbunden, ganz, heil, geliebt?
Die Antwort ist Bindung, oder Liebe. In diesem Artikel möchte ich diese Begriffe synonym verwenden, Liebe ist Bindung und Bindung ist Liebe. Es ist der Kitt, der uns als Menschen zusammenhält. Es ist die Lösung sowie das Problem.
Die Bindungsstil ist die Software, die maßgeblich prägt, wie und wofür du Beziehungen führst. Beziehungen sind die größte menschliche Droge (wenn ich diesen Begriff einmal neutral verwende). Es ist der Hauptgrund, morgens aus dem Bett zu steigen. Liebe zeigt sich in Beziehungen, zu anderen Menschen, zur Welt, und nicht zuletzt zu sich selbst.
Frühkindliche Beziehungserfahrungen prägen den eigenen Bindungsstil, ca 60 % der Menschen entwickeln einen sicheren Bindungsstil. Sie erleben Beziehungspartner als sicher, vorhersagbar, solidarisch, zuverlässig. Sie gehen stabile Bindungen ein und sind auch in der Lage, sich aus diesen zu lösen.
Unsicher-vermeidend gebundene Menschen erleben in Beziehungen starke Verlustängste. Sie klammern sich an Beziehungspartner, ignorieren dabei eigene Bedürfnisse und haben Schwierigkeiten, ihre Grenzen zu setzen und zu spüren. Die Welt ist für sie bedrohlich und nicht sicher, sie sind misstrauisch, benötigen viel Kontrolle und können selten loslassen und entspannen. Ihr autonomes Nervensystem ist überaktiv und ständig wachsam.
Unsicher-ambivalent gebundene Menschen gehen engen Beziehungen aus dem Weg. Sie halten als Selbstschutz andere auf Distanz, trennen kaum zwischen Familienmitgliedern und Fremden in der Qualität der Beziehungsgestaltung. Sie zeigen kaum Gefühle, wirken starr, ernsthaft und ausdruckslos in ihrer Mimik.
Ca 40 % der Menschen in Deutschland haben einen solchen Bindungsstil. Sie kommen aus Familien, in denen sie wenig Wärme und Echtheit in ihren primären Bindungen erfahren haben.
In die Restkategorie (ca 1 %) fallen Menschen mit einem desorganisierten Bindungsstil. Sie haben meist schwer traumatisierende Erfahrungen in ihrer frühen Kindheit durchlebt. Sie zeigen sich in ihrem Bindungsverhalten diffus, chaotisch, hoch ambivalent und unvorhersagbar.
Ein sicherer Bindungsstil korreliert engt mit allen möglichen Markern von Lebenszufriedenheit. Sexualität ist für sie Ausdruck von Liebe, um Intimität, Nähe und Zärtlichkeit in Beziehungen zu erfahren. Unsicher-vermeidend gebundene Menschen nutzen Sexualität, um Beziehungen zu sichern und nicht verlassen zu werden. Sie wissen nicht, was Liebe ist. Oft erfahren sie in Beziehungen genau das, was sie verhindern wollen, sie werden verlassen. Unsicher-ambivalent gebundene Menschen neigen zu häufig wechselnden Sexualpartnern, riskantem Verhalten, sie nutzen Sexualität als Manipulations-Instrument. Sie wissen nicht, was Liebe ist. Sie fühlen sich einsam und leer, finden aber keinen Ausweg aus ihrem inneren Gefängnis. Beide Gruppen von unsicher gebundenen Menschen berichten, selten ein erfüllendes Sexualleben zu haben. Wenn sie eine feste Partnerschaft eingehen, ist der Sex allenfalls am Anfang der Beziehung befriedigend, schläft dann aber mit der Zeit ein, weil die motivationalen Grundlagen für sexuelle Handlungen abhanden kommen. Da Sex kein Ausdruck von Liebe und sicherer Bindung ist. Der Bindungsstil ist zum Glück nicht in Stein gemeißelt. Selbstheilung ist der Weg in die sichere Bindung. Sichere Bindung heißt, seine verletzten inneren (kindlichen) Anteile zu heilen und bedingungslos in ihrer Imperfektion anzunehmen. Die innere Bindung lässt sich schneller heilen als äußere Bindung. Wer sich mit sich selbst sicher gebunden fühlt, wird sich mit der Welt sicher verbunden fühlen. Diese innere Arbeit ist teils anstrengend, aber sehr lohnenswert. Sich mit seinem Bindungsstil und -verhalten auseinanderzusetzen lohnt sich. Es beeinflusst dein tägliches Verhalten, es ist einer der Hauptgradmesser für deine Lebenszufriedenheit.
Ich hoffe, dieser Artikel war für dich hilfreich. Ich wünsche dir einen schönen Tag!
Herzlichst
Simon
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